
Am 19. und 20. April 2013 fand der im Vorfeld angekündigte Szenarien-Workshop zum Thema „Baden im Baldeneysee“ statt. Zahlreiche engagierte Bürger sowie Interessensvertreter verschiedener Organisationen folgten dem Aufruf, sich aktiv in die Planungen des Projekts Sichere Ruhr einzubringen und es mit ihrem Wissen, ihrem Anregungen und ihrer Kritik zu bereichern.
Am ersten Workshop-Tag setzten sich die Teilnehmer zunächst gemeinsam mit Experten in zufällig ausgelosten Gruppen mit den unterschiedlichen An- und Herausforderungen des Badens in natürlichen Fließgewässern auseinander. Die inhaltlichen Schwerpunkte der fünf Themeninseln teilten sich dabei in Hygiene, Recht, gesellschaftlicher Nutzen, Finanzierung sowie Information/Kommunikation. Rotierend durchlief jede Gruppe alle fünf Themeninseln, um sich unter verschiedenen Fragestellungen den jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkten anzunähern. Das Projekt profitierte dabei von den verschiedenen Betrachtungsweisen und dem fachlichen Know-How der Teilnehmer, die in den regen Diskussionen viele wertvolle Hinweise gaben.
Themeninsel „Hygiene“
Eingeleitet in das Thema Hygiene wurde unter der Fragestellung, wie viele der Teilnehmer bereits in der Ruhr gebadet haben. Das Ergebnis war sehr eindeutig. Nahezu alle Teilnehmer sind trotz des bestehenden Badeverbots bereits in der Ruhr geschwommen, meist ohne gesundheitliche Folgen.
Aufgeklärt wurde in dieser Themeninseln darüber, dass diese gesundheitlichen Folgen jedoch nicht von der Hand zu weisen sind. Durchfallerkrankungen, Erkrankungen der Gehörgänge sowie Badedermatitis sind unangenehme Folgen, die ein Ruhrbad zum Status Quo mit sich bringen kann. Doch wie kommen diese Krankheitserreger in das Ruhrwasser? Die überwiegende Meinung der Teilnehmer war, dass Einleitungen aus der Industrie eine negative Rolle für die Wasserqualität spielen. Der Experte klärte jedoch darüber auf, dass Einträge aus der Landwirtschaft, Verunreinigungen von Straßen und Häusern sowie Ausscheidungen von Vögeln einen wesentlich höheren Einfluss auf die Verunreinigung des Wassers haben. Starkregen spült diese verschiedenen Einträge in die Ruhr, so dass zum derzeitigen Zeitpunkt keine konstante Wasserqualität des Flusses gegeben ist. Sollte also das Baden offiziell oder auf eigene Gefahr erlaubt werden, muss der Verstand mit baden. Weitere Fragen aus dem Kreis der Bürger kamen auf: Warum erkranken die Wassersportler nicht regelmäßig an den genannten Krankheiten? Sind diese nicht ein guter Indikator für eine gute Wasserqualität der Ruhr? Aufschluss über das tatsächliche Risiko, das vom Ruhrwasser ausgeht, könnten Untersuchungen der Wassersportler bringen. Hierzu mangelt es jedoch an Datenmaterial, denn Untersuchungen solcher Art sind bislang nicht durchgeführt worden.
Darüber hinaus wurden von den Teilnehmern Bedenken bezüglich möglicher hygienischer Einschränkungen durch Badende, wie zum Beispiel durch Sonnencreme oder Hautschüppchen, geäußert. Diese Sorge konnten die Experten jedoch schnell nehmen. Diese Mikroverunreinigungen werden in so großem Maße verdünnt, dass sie für die Wasserqualität keinerlei Beeinträchtigung darstellen.
Generell fiel auf, dass der Wunsch nach Wissen über die Wasserqualität der Ruhr in verständlich aufbereiteter Form groß ist. Für das Projektteam bedeutet dies: Ein Frühwarnsystem muss entwickelt werden, das nicht-wissenschaftlich aufbereitete, verständliche Informationen bereithält. Vielmehr sollte den Badenden hingegen vermittelt werden, was die wissenschaftlichen Fakten konkret für sie bedeuten. Nach reger Diskussion und Aufklärung über mögliche hygienische Risiken beim Baden in der Ruhr verließen die Teilnehmer diese Themeninsel. Das vermittelte Wissen bremste die Bürger jedoch nicht in ihrem Wunsch, auch weiterhin in der Ruhr zu baden.
Themeninsel „Recht“
Ein Schild mit der Aufschrift „Baden verboten“ lud provozierend zur Diskussion in der Themeninsel „Recht“ ein. Die begleitende Fragestellung lautete: Ist es überhaupt erlaubt, ein generelles Badeverbot auszusprechen oder hat nicht vielmehr jeder Bürger ein Recht auf uneingeschränkten Zugang zu öffentlichen Gewässern und damit zum Baden? Der Unmut der Teilnehmer über dieses Badeverbot war deutlich. Sie berichteten von Bußgeldern, die vom Ordnungsamt für die zuweilen illegalen Badegänge gefordert wurden. Aber gleichzeitig erzählten sie voller Trotz vom eigenen Hinwegsetzen über dieses scheinbar sinnlose Badeverbot. Ganz im Unrecht waren die Bürger mit dieser Missachtung der Gesetzeslage nicht. Denn, so die Experten, ein generelles Badeverbot ist nicht aufrecht zu halten. Jedem EU-Bürger steht das Recht zu, in Flüssen und Seen zu baden, ausgenommen davon sind Natur- und Wasserschutzgebiete. Hier gilt ein generelles Badeverbot. Zudem sind Kommunen dazu verpflichtet, sobald mehrere Bürger an einer bestimmten Stelle ins Wasser gehen, die Wasserqualität dieser Stelle zu untersuchen. Geht hiervon keine Gefahr aus, ist diese Stelle laut Badegewässerrichtlinie als offizielle Badestelle auszuweisen. Eine Vorgabe, die in der Ruhr nicht umzusetzen ist, denn die Wasserqualität schwankt, wie die Bürger bereits in der vorangegangenen Themeninsel gehört hatten.
Doch unter welchen Voraussetzungen könnte das Baden in der Ruhr dennoch legalisiert werden? Die Teilnehmer einigten sich unter Berücksichtigung verschiedener Möglichkeiten darauf, dass es rechtlich nur als Baden auf eigene Gefahr möglich wäre. Offizielles Baden benötigt eine Infrastruktur mit Aufsicht, Parkplätzen und Müllentsorgung sowie die Beachtung der Verkehrssicherheitspflicht. Alle diese Punkte werden für die anliegenden Kommunen kaum zu tragen sein. Daher fand die Idee des Badens auf eigenes Risiko in Verbindung mit offiziellen Frühwarnsystemen zur Wasserqualität großen Zuspruch.
Themeninsel „Gesellschaftlicher Nutzen“
Die Fragestellung, der sich die Teilnehmer dieser Themeninsel widmeten, lautete: Welchen Nutzen bringt das Baden in der Ruhr für die Region und die Bewohner mit sich? Der Fokus sollte dabei nicht auf dem kommerziellen Nutzen für Gastronomie, Hotellerie und weitere Freizeitangebote liegen, sondern explizit auf die Bürger an sich bezogen werden.
Sofortigen Konsens unter den Teilnehmern fand das Thema Imagewandel. Das Ruhrgebiet als Industrie- und Kohleabbaugebiet ist vielen ein Begriff, doch der Wandel hin zu Kultur und grünen Großstädten ist im vollen Gange. Das Baden in der Ruhr würde diesen Wandel positiv unterstützen. Das Image der Region und ihrer Bewohner würde damit verbessert. Neben dem positiven Ansehen würde dies natürlich auch einen Standortvorteil mit sich bringen.
Darüber hinaus bedeutet die Möglichkeit des Badens für die Bewohner selbst mehr Lebensqualität und Freizeitwert. Die Ruhr würde ein Ort der Begegnung und Entspannung. Zusätzlich könnten die Bürger von der naturnahen Erfahrungswelt profitieren, die besonders für Kinder ein erhebliches spielerisches Lernmoment mitbringt. Sie könnten Erfahrungen im Umgang mit der Natur sammeln und diese als ihr zu Hause kennen und wertschätzen lernen.
Die Aufhebung des allgemeinen Badeverbotes würde für die Menschen an und um die Ruhr weiterhin mehr Freiheit bedeuten. Die Bewohner könnten sich ihr Gewässer, die Ruhr und den Baldeneysee zurück erobern und diese nach Belieben nutzen. Hier kam jedoch schnell der Einwand auf, dass ein Nutzen nach Belieben natürlich auch Nachteile mit sich bringen könnte. Der Nutzerkonflikt mit Anwohnern, Wassersportlern und Schifffahrt könnte neben möglichem Unmut auch Sicherheitsrisiken bergen. Darüber hinaus könnte eine massive Nutzung der Ruhr auch Umweltrisiken zur Folge haben, die durch Aufklärung und Prävention minimiert werden müssten. Auch hier kristallisiert sich demzufolge eine Aufgabe an die Kommunikation durch das Projektteam heraus, denn nur durch eine verantwortungsvolle Nutzung der Ruhr können Folgeschäden vermieden werden.
Themeninsel „Finanzierung“
Die zentrale Fragestellung beim Thema Finanzierung ist natürlich die Frage danach, wer das Geld für mögliche Maßnahmen zur Verfügung stellen soll. Damit ist auch verbunden, welche „Verlierer“ und Gewinner“ es im Falle einer Badeerlaubnis geben wird. Konsens in der Diskussion war, dass legales Baden in der Ruhr oder im Baldeneysee „sein Geld wert“ ist. Unter den Teilnehmern waren eine Reihe verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten denkbar. Im Ergebnis waren die Überlegungen immer von der Art der Nutzung und damit des eigenen Vorteils, den die Teilnehmer erwarten, abhängig.
Die Rolle der Stadt oder des Ruhrverbands wurden unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung des Badens genannt, da die Ruhr als öffentliches Gut gesehen wird, das jedem Bürger zur freien Verfügung stehen sollte. Zusätzlich könnten diejenigen Personen/Institutionen zur Kasse gebeten werden, die für die schlechte Wasserqualität verantwortlich sind. Aufgelistet haben die Bürger zum Beispiel die Landwirtschaft, die Schifffahrt oder die Industrie. Es stellte sich heraus, dass die öffentliche Hand die Grundvoraussetzungen (Toiletten, Parklätze) beispielsweise über indirekte Steuereinnahmen finanzieren sollte, sofern etwa einzelne Badestellen ausgewiesen würden.
Unter allen Teilnehmern kristallisierte sich eine Bereitschaft heraus, für etwas Schönes und Nutzenbringendes auch selber zahlen wollen. Hier wurden ganz unterschiedliche Überlegungen angestellt: von Eintrittsgeldern für bestimmte Stellen am Baldeneysee und der Ruhr, Badescheine analog zum Anglerschein oder eine Kurtaxe. Auch Seepatenschaften, die das Verhältnis zum See positiv beeinflussen könnten, wurden genannt. Mit diesen verschiedenen bürgergetragenen Finanzierungsinstrumenten könnte sich eine mögliche Infrastruktur an angedachten Badestellen errichten und aufrechterhalten, so der Gedankengang der engagierten Bürger.
Themeninsel „Information und Kommunikation“
Das Themeninsel „Information und Kommunikation“ behandelte die zentrale Fragestellung: Welche Informationen wünschen sich die Teilnehmer zum Baden in der Ruhr und in welcher Form sollten diese Informationen weitergegeben werden?
Die Teilnehmer äußerten den Wunsch, möglichst klare und einfache Aussagen zu erhalten. Entscheidend ist dabei die Beantwortung der Frage „Kann ich heute baden? Ja oder Nein?“. Tiefergehende Informationen rund um Schadstoffkonzentrationen und genauere Wasserwerte waren hierbei mehrheitlich nicht gewünscht. Wer jedoch Interesse an diesen hätte, sollte in der Lage sein, diese auf einer Website oder mittels mobiler App abrufen zu können. Langzeitwerte über einen Zeitraum von einem Jahr sollten auf diesem Weg ebenfalls übermittelt werden.
Sollte tatsächlich ein Badeverbot für einen bestimmten Tag ausgesprochen werden, müsse dieses jedoch mit Begründung angegeben werden, sodass es nicht willkürlich wirkt sondern für alle Bürger nachvollziehbar erscheint.
Die Antwort auf die zentrale Frage und alle relevanten Informationen sollten dabei mit Bedacht auf älteres Publikum nicht nur per Internet vermittelt werden, sondern auch per Zeitung und Radio für die Nutzer zur Verfügung stehen. Unmittelbar am Badeort könnten sich die Teilnehmer ein Ampelsystem in Kombination mit einer Tafel, die Informationen zu einer App oder Internetseite angibt, vorstellen. Eine Webcam könnte darüber hinaus per Internet Auskunft über die Badestellen geben. Doch wie soll ein solches Ampel- bzw. Frühwarnsystem aussehen? Von Ampeln über Fahnen bis hin zu fünfstufigen Skalen war für die Teilnehmer vieles denkbar. Hierzu wurde noch angemerkt, dass mehrere Skalenstufen zwar zu mehr Entscheidungsfreiheit für den Bürger führen würden. Allgemeiner Konsens war jedoch, dass der Bürger die Verantwortung über eine Badebeurteilung lieber den Experten überlassen würde. Doch können ernannte Experten überhaupt die Verantwortung für mögliche Risiken tragen? Dies wurde eindeutig abgewiesen. Für das Baden in der freien Natur bleiben immer Restrisiken bestehen, daher müsste jeder Bürger lernen, eigenverantwortlich mit einem Ampelsystem umzugehen.
Der Traum vom Baden in der Ruhr
Zusammenfassend zeigte der erste Workshop-Tag ein deutliches Meinungsbild zu Gunsten des Badens in der Ruhr. Baden sei hier allerdings nicht im Sinne einer Vollkaskomentalität zu verstehen, bei dem die Stadt oder andere Institutionen die Verantwortung tragen. Vielmehr wurde der Wunsch nach Baden in Eigenverantwortung geäußert. Die Teilnehmer merkten an, dass eine Infrastruktur hierfür wünschenswert wäre, sie aber auch bereit wären, eine solche zum Teil mit zu finanzieren. Das offiziell erlaubte Baden entlang der Ruhr ohne Einschränkungen fördert zwar Probleme zu Tage, die nicht ohne weiteres zu stemmen sind. Das Stimmungsbild ist dennoch eindeutig: Das Baden auf eigene Gefahr bzw. auf eigenes Risiko ist für alle Beteiligten denkbar und wünschenswert.