
Künstler scheinen seit jeher Inspiration bei Flüssen zu suchen. Für zahlreiche bedeutende Maler sind sie ein beliebtes Motiv gewesen: Cezanne und Renoir haben die Seine gemalt, Monet daneben auch noch die Themse und van Gogh die Rhône, William Turner den Rhein – die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Auch die Ruhr ist Motiv für einige Gemälde gewesen, etwa im Jahre 1880 bei Caspar Scheuren.
Neben den Malern haben sich auch viele Schriftsteller dem Thema Fluss zugewandt. Dem Nordamerikaner Mark Twain hatte es der Mississippi angetan, eine Reihe junger Autoren aus Südamerika erzählt dagegen aktuell vom Rio de la Plata, der drei Staaten durchkreuzt, um in Leben und Kultur seine Spuren zu hinterlassen. Auch in der slawischen Literatur spielen Flüsse immer wieder eine bedeutende Rolle. Der bosnische Nobelpreisträger Ivo Andrić etwa verwendet das Flussmotiv in Verbindung mit dem der Brücke, um die Begegnung von christlicher und islamischer Kultur in seiner Heimat zu bebildern.
Auch Fotografen, beispielsweise Andreas Gursky, eröffnen künstlerische Perspektiven auf den Fluss und die Faszination der Komponisten für das Thema, die in Smetanas berühmter Moldau einen Höhepunkt erreichte, ist noch heute stark. Dabei sind die Flüsse nicht immer nur Gegenstand, sondern häufig auch Bestandteil von Kunst, wie etwa die Werke verschiedener Klangkünstler zeigen, die unter anderem mit dem Rauschen der Ruhr arbeiten. Auch zum Bestandteil von Installationen können Flüsse werden. Christo und Jeanne-Claude planen das gerade im großen Stil für den Arkansas River, über dem sie silberne Stoffbahnen spannen möchten. Iliya und Emilia Kabakov installierten 2010 auf dem Baldeneysee, der in Essen das Wasser der Ruhr staut, eine künstliche Insel. Für ihr „Projekt zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen“ pumpten sie das Flusswasser auf der einen Seite der Insel aus dem Stausee heraus, bloß um es an der anderen Seite von rostigen Maschinen wieder hineinbefördern zu lassen. Die Rotterdamer Architekten von Observatorium arbeiten ebenfalls gern mit Ironie. Am Flussufer lassen sie die Besucher ihrer Pavillons auf die renaturierte Emscher warten. Und die Performancekünstlerin Vlatka Horvat geht in Los Angeles konsequenter Weise gleich selbst in den Fluss hinein, wo sie kontrastierend zum Motiv der fließenden Bewegung immer wieder neue Ruhepole in Form von Sitzgelegenheiten im Fluss arrangiert.
Was ist es, das die Künstler bis heute an Flüssen so fasziniert? Warum arbeiten so viele Kreative aller Sparten immer wieder mit dem Fluss als Thema, Material und Ausdrucksmittel? Ein Grund dafür liegt vielleicht im Vorgang des Fließens selbst. In den 60er Jahren wirkte dieser Vorgang sogar stilprägend für eine neu entstehende Kunstrichtung, den Fluxus, mit dem in Deutschland Namen wie Joseph Beuys oder Nam June Paik verknüpft sind. Außerdem Christoph Schlingensief, der an der Ruhr noch vor wenigen Jahren seine große Fluxus-Inszenierung Kirche der Angst zeigte, in der er unter anderem seine tödliche Krankheit verarbeitete. Die Vergänglichkeit ist ein Element des Fließens, dem sich außer Schlingensief auch andere Fluxus-Künstler angenommen haben, beispielsweise der Dichter und Konzeptkünstler Dieter Roth. Das Fließen ist jedoch über den Fluxus hinaus für Künstler aller Gattungen und Metiers bis heute von Bedeutung: In Form des „Flows“, eines Zustands wie im Fluss, der es ermöglicht, einen ununterbrochenen kreativen Schaffensprozess zu erreichen, einen Fluss, der den Künstler unter Umständen bis zur Vollendung eines Werks trägt.
Flow spielt aber auch bei solchen kreativen Tätigkeiten, die über einen engeren Kunstbegriff hinausgehen, eine wichtige Rolle. So beschreibt es zumindest die Flow-Theorie des Chicagoer Wissenschaftlers Mihaly Csíkszentmihályi. Ihm geht es dabei um Tätigkeiten, die wir um ihrer selbst willen ausüben, die uns zwar mit unserer ganzen Aufmerksamkeit involvieren, aber nicht überfordern und zugleich nicht unterfordern – und uns so in einen positiven Fluss versetzen können. „Die Zeit fliegt. Jede Handlung, jede Bewegung und jeder Gedanke folgt unweigerlich auf die vorausgegangene – als wenn man Jazz spielt“, beschreibt der Journalist John Geirland diesen Flow. Eine Tätigkeit, in der man so aufgeht, dass man sich im Fluss befindet, ist Csíkszentmihályi zufolge aber nicht nur kreativ, sie macht außerdem auch glücklich. Vielleicht ein Grund sich noch einmal ganz neu mit dem Thema Fluss zu beschäftigen.