
Jedes Kind lernt früh: Eine grüne Ampel heißt noch nicht, dass tatsächlich alle Autos anhalten. Und jeder Erwachsene weiß: Eine rote bedeutet nicht, dass überhaupt eins kommt.
Dass man also immer noch am besten selbst nach links und rechts schaut, ist im Straßenverkehr jedem klar. Beim Baden in Seen und Flüssen macht sich dies dagegen nicht jeder bewusst. Ein Ort, wo man sich bemüht, dafür ein Bewusstsein zu schaffen, ist das IWW Zentrum Wasser in Mülheim.
Am IWW, wo das Projekt Sichere Ruhr koordiniert wird, beschäftigen sich eine Vielzahl von Mitarbeitern mit dem Ruhrwasser. Dort arbeiten unter anderem Mikrobiologen, Technologen, Ökonomen oder Statistiker an dem Projekt.
Laut Projektkoordinator Dr. Wolf Merkel ist eine wesentliche Aufgabe der Forscher dabei, wissenschaftliche Fakten für die Diskussion um die Frage ‚Könnte die Ruhr künftig zum Baden genutzt werden?’ bereitzustellen. „Im aktuellen Rechtsrahmen ist dies nicht möglich, weil die schwankende Wasserqualität bei Regen in der EU-Badegewässerrichtlinie nicht berücksichtigt wird“, meint der Ingenieur. „Teil der Arbeiten im Projekt ist es daher, Lösungswege hierfür aufzuzeigen.“
Martin Strathmann, Andreas Hein und Hans-Joachim Mälzer sind drei Mülheimer Kollegen, die an diesen Lösungswegen arbeiten. Im Interview mit ihnen wird schnell klar, dass sie eng zusammenarbeiten. Die Daten, die Martin Strathmann und seine Kollegen aus der mikrobiologischen Abteilung sammeln, wenn sie Wasserproben an der Ruhr nehmen, helfen beispielweise Hans-Joachim Mälzer bei der Entwicklung einer aussagekräftigen Vorhersage zur Wasserqualität. Und für Andreas Hein spielt beides eine Rolle, wenn er mögliche Badeszenarien am Baldeneysee miteinander vergleicht. „Im Projekt Sichere Ruhr sind wir nicht nur bei uns im Haus eng vernetzt“, erläutert der Mikrobiologe Martin Strathmann. „Wenn wir an der Ruhr oder am Baldeneysee Wasserproben nehmen sind beispielsweise auch die Kollegen vom Essener Biofilmcenter und Wissenschaftler aus Bonn und Bochum mit dabei.“
„Mit mehreren Kühltaschen bepackt kommen wir dann vom Fluss zurück ins Labor“, beschreibt der 40-jährige die Mühen in der Projektarbeit. Im Labor untersucht er die Proben dann zusammen mit seinen Kollegen Dietmar Pütz, Kathrin Bemmann, Susanne Grobe und Gabriela Schaule.
Das IWW arbeitet breit gefächert und besitzt für den gesamten Wasserkreislauf Experten. Dass Martin Strathmann, der an der Universität Duisburg-Essen promoviert hat, trotzdem auch mit anderen Instituten so häufig in Verbindung steht, zeigt, welche große Menge an Daten und Untersuchungen für das Projekt Sichere Ruhr bearbeitet werden muss.
„Für meine Arbeit kann es eigentlich nicht genug solcher Daten geben“, meint Kollege Hans-Joachim Mälzer, der gemeinsam mit Tim aus der Beek und Frank-Andreas Weber an der Entwicklung einer Vorhersage der Ruhrwasserqualität arbeitet. An seinem Computer im Büro des IWW bastelt er an für Laien nur schwer verständlichen Graphen. Die Berechnungen, die der Ingenieur mit historischen und aktuellen Daten speist, sollen irgendwann helfen, Badende im Voraus vor Wasserverunreinigungen zu warnen. Dafür nutzt der Wissenschaftler, der selbst passionierter Schwimmer ist, statistische Verfahren, physikalisch-chemische Modellrechnungen und zusammen mit dem Projektpartner aquatune auch künstliche neuronale Netze, die er beispielsweise mit Wetterdaten und den Ergebnissen von den Wasseruntersuchungen seiner Kollegen versorgt.
„Es wäre mal interessant, wie viele Daten im ganzen Projekt Sichere Ruhr insgesamt wohl bearbeitet werden müssen“, meint sein Kollege Andreas Hein. „Allein bei unserer Bevölkerungsumfrage haben wir ja schon über 220.000 Einzelantworten bekommen“, erklärt der diplomierte Volkswirt. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziologie, dem Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Duisburg-Essen und dem Ruhrverband haben er und seine Kollegin Marina Neskovic ermittelt, was die Bürger in der Region über das Baden in der Ruhr und dem Baldeneysee denken. Zum Beispiel wurde gefragt, wie viel Geld es den Bürgern wert wäre, dort unter verschiedenen möglichen Bedingungen baden gehen zu können. Nun ist das Team um Andreas Hein damit beschäftigt, anhand der Antworten der Bevölkerung das Verhältnis von Kosten und Nutzen für die verschiedenen Badeszenarien zu bewerten. Die Kosten sind dabei noch nicht vollständig kalkulierbar, weil sie auch von den Ergebnissen anderer Arbeitsbereiche im Projekt Sichere Ruhr abhängen. Aber ein Ergebnis aus der Umfrage verrät der Ökonom schon: „Nur wenige der Bürger, die wir befragt haben, wollen, dass die Badesituation so bleibt, wie sie im Moment ist. Die meisten wünschen sich einen Wasserzugang in Form einer oder mehrerer ausgewiesener Badestellen.“
So eine speziell zum Baden ausgewiesene Uferstelle könnte helfen, Risiken wie einen unebenen Grund oder den Schiffsverkehr auf dem Fluss übersichtlich zu halten. „Ob man auf einem glatten Stein ausrutschen kann oder die vorbeifahrenden Schiffe – das würde mir persönlich mehr Sorgen bereiten als ein möglicher Durchfall“, sagt Mikrobiologe Martin Strathmann. Er weiß aber, dass „auch für die Sicherheit von Kindern oder gesundheitlich angeschlagenen Bürgern mit schwachem Immunsystem gesorgt werden muss und daher eine Bewertung im Rahmen des geltenden Rechts erfolgen muss.“ Sein Kollege Hans-Joachim Mälzer würde gerne eines Tages auch in der Ruhr schwimmen, wenn die rechtliche Situation geklärt ist – so lange geht er weiterhin lieber zum Baggersee.
Andreas Hein findet, dass es wichtig ist, die Bevölkerung über mögliche Risiken und Sicherheitsmaßnahmen zu informieren. „Wenn ich mir etwas wünschen würde, das mindestens überbleiben soll aus dem Projekt Sichere Ruhr, dann wäre das eine höhere Sensibilisierung und besseres Verständnis zu diesem Thema, bei den Badenden selbst, aber auch bei Badebetreibern, Verwaltungen und allen, die es angeht.“ Dabei hofft der Volkswirt, dass aus dem Projekt eine öffentliche Informationsmöglichkeit über den Gewässerzustand hervorgeht, die immer aktuell verfügbar wäre, „also eine Hilfe für denjenigen, der für sich entscheidet, gehe ich rein oder gehe ich nicht rein ins Wasser.“
Eine Ampel könnte das sein, die Grün oder Rot zeigt, je nachdem, ob zu große Sicherheitsrisiken zum Baden bestehen oder nicht. Der passionierte Schwimmer und Verfahrensingenieur Hans-Joachim Mälzer arbeitet mithilfe seiner Modellvorhersagen an so einem Ampel-System. „Die Herausforderung dabei ist, alle Daten richtig auf einfache Aussagen wie ‚Rot’ oder ‚Grün’ oder auf einfache Risikostufen zu reduzieren“, erklärt der Wissenschaftler. Außerdem weiß er natürlich, dass selbst eine solche wissenschaftliche Vorhersage ihre Grenzen hat. Es gilt, wie beim Straßenverkehr, den Verstand sollte man nie ganz ausschalten. Deshalb sind sich die IWW-Mitarbeiter einig, dass sich jeder, der in der Ruhr baden möchte, über die Risiken und seine Eigenverantwortung im Klaren sein müsse. Ob die Ampel schließlich Grün oder Rot zeigt, mag in Zukunft vielleicht nicht nur an der Straßenkreuzung, sondern auch beim Baden in Seen und Flüssen ein nützliches Hilfsmittel sein. Es kann einem aber nicht die Entscheidung abnehmen, ob man schließlich ins Wasser springt.