
Das gute Wetter vom Wochenende hält an. Jens Gebhardt schaut aus dem Fenster und runzelt die Stirn. Ein paar vereinzelte Wolken sind zu sehen, aber so richtig regnen will es auch an diesem Montag nicht. Anders als die meisten Menschen würde der 28-jährige sich das heute wünschen. Zumindest beruflich.
Der Ingenieur für Wasser- und Abwassertechnik untersucht für das Projekt Sichere Ruhr eine Kläranlage. Genauer gesagt: Er untersucht das Wasser, das aus ihrem Regenüberlaufbecken austritt, auf gesundheitsschädliche Mikroorganismen. Er will wissen, wie groß die Menge an Bakterien ist, die bei schlechtem Wetter durch Überlaufen des Beckens unbehandelt in den Fluss gelangt. Wenn es aber nicht regnet, dann läuft das Becken der Kläranlage Essen-Süd gar nicht über und Jens Gebhardt kann auch nichts messen. „Im letzten Jahr hat es überhaupt nicht genug geregnet für die Messung“, meint der Abwasserexperte. „Deshalb mussten wir ein künstliches Regenereignis simulieren und das Wasser selbst aufstauen.“
Was Jens Gebhardt bei der Untersuchung besonders interessiert, ist, welchen Unterschied die neuen Geräte zur Bakterienbekämpfung machen, die an der Kläranlage testweise installiert sind. Dabei geht es um die Anlagen zur sogenannten Ozonierung sowie zur UV-Bestrahlung des Wassers. Bei der Ozonierung wird Luft beziehungsweise Sauerstoff genutzt, um den unerwünschten Mikroorganismen im Wasser zu Leibe zu rücken. Mithilfe von Elektroden wird aus dem Sauerstoff Ozon erzeugt, das dann mit den organischen und anorganischen Verbindungen im Wasser reagiert und es so schließlich von Bakterien und Schadstoffen befreit. Die UV-Bestrahlung arbeitet dagegen mit Licht, dem ultravioletten Licht einer bestimmten Wellenlänge, das die Erbsubstanz der Bakterien angreift. Die Kleinstorganismen werden von UV-Lampen bestrahlt, bis sie nicht mehr fähig sind sich zu vermehren. „Wir überprüfen das Wasser im Zulauf zur UV-Anlage und schauen, wie viele Mikroorganismen sich darin befinden. Danach messen wir ihre Anzahl noch ein zweites Mal im Ablauf der UV-Anlage“, erläutert Jens Gebhardt. So kann er feststellen, welchen Erfolg die Methode bei der Bakterienbekämpfung hat.
Die an der Kläranlage eingesetzten technischen Vorrichtungen zur Ozonierung und UV-Bestrahlung stammen von der Xylem Water Solutions Deutschland GmbH. In der Firma, die Produkte für die Förderung und Behandlung von Wasser und Abwasser unter den Markennamen WEDECO herstellt und als Projektpartner am Projekt Sichere Ruhr beteiligt ist, arbeitet der junge Ingenieur, seit er dort 2011 seine Masterarbeit geschrieben hat. Neben Jens Gebhardt sind bei Xylem auch noch Diplom-Biologe Jürgen Vogt als Fachmann für die UV-Auswertung sowie Diplom-Ingenieur Arne Wieland mit dem Projekt Sichere Ruhr betraut. Ihre Aufgabe ist neben der Wasserprobenahme und -bewertung auch eine Kostendarstellung. „Wir berechnen für die beiden verschiedenen Techniken Ozonierung und UV-Bestrahlung, was es kosten würde, die Kläranlagen in der Region Essen damit auszustatten“, beschreibt der Xylem-Mitarbeiter ihre Aufgabe im Projekt. „Wir beurteilen, welche der beiden Methoden für den Fall der einzelnen Kläranlagen sinnvoller ist, um die Abtötung der Viren und Bakterien zu erreichen und schauen dabei auch, welches jeweils die kostengünstigere Lösung ist.“
Jens Gebhardt wünscht sich am Ende seiner Kosten-Nutzen-Prognosen und Wasseranalysen so eindeutige Ergebnisse zu haben, dass er eine klare Empfehlung an die Stadt Essen abgeben kann, denn: „Es wäre sicher eine positive Entwicklung für Essen, wenn man den Baldeneysee zum Schwimmen freigeben könnte. Als Freizeitaktivität könnte er dann noch stärker genutzt werden und das wäre bestimmt gut für die Region“, meint der Ostwestfale, der zuhause selbst meist im Frei- oder Hallendbad schwimmt. „Seen oder Flüsse zum Schwimmen gibt es bei uns in Ostwestfalen leider nicht so viele.“ Den hohen Wert einer natürlichen Badeumgebung weiß Jens Gebhardt deshalb zu schätzen. Als Umweltingenieur kennt er aber auch die Schwierigkeiten, die damit verbunden sein können und meint: „Ich kenne die aktuellen Wasserwerte von Ruhr und Baldeneysee nicht genau. Aber unter den jetzigen Bedingungen – da sie nicht als Badegewässer freigegeben sind – würde ich selbst lieber nicht reinspringen.“
Vielleicht können Techniken wie Ozonierung oder UV-Bestrahlung in Zukunft dazu beitragen, die Wasserwerte der Ruhr zu verbessern, auch nach Regenwetter, das sich immer wieder negativ auf die Wasserqualität auswirkt. Deshalb nimmt Jens Gebhardt weiterhin sorgfältig Wasserproben an der Kläranlage. Heute hat er dazu Praktikantin Julia Eifert mit nach Essen genommen, denn für die Probenahme müssen die Xylem-Mitarbeiter immer zu zweit sein. Im weiteren Verlauf der Untersuchung sind dann noch eine ganze Reihe anderer Leute beteiligt, darunter Wissenschaftler vom IWW in Mülheim und der RWTH Aachen. Dass die Wasseruntersuchung in ihren verschiedenen Arbeitsschritten eine Reihe von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Städten involviert, die sich koordinieren müssen, macht es nicht leichter, schnell auf einen Regenfall zu reagieren. „Die Labore müssen zum Beispiel zum passenden Zeitpunkt frei und besetzt sein, wenn wir eine Wasserprobe nehmen, weil dort die Proben aufbereitet werden“, erklärt Jens Gebhardt. Denn das Essener Überlaufwasser muss zeitnah analysiert werden, damit die Ergebnisse aussagekräftig sind. „Wenn es zum Beispiel am Freitagnachmittag regnet und wir danach hier an der Kläranlage Proben ziehen, wird es natürlich schwierig, denn dann sind die Labormitarbeiter schon bald im Wochenende.“ Gebhardt muss lachen: „Deshalb ist es für uns wünschenswert, dass es in der Nacht von Sonntag auf Montag regnet.“ Dass die Natur bei der Untersuchung mitspielt, ist für ihn daher eigentlich die größte Herausforderung bei seiner Arbeit im Projekt Sichere Ruhr.