
Auf den ersten Blick mag es etwas abwegig erscheinen. Doch ein paar Dinge haben die Projektpartner von Sichere Ruhr an der RWTH Aachen mit Detektiven gemeinsam. Die Verdächtigen, denen die Mitarbeiterinnen des Aachener Instituts für Siedlungswasserwirtschaft (ISA) nachspüren, sind allerdings Keime. Das ISA verfolgt die oft verborgenen Wege, auf denen sie in den Fluss gelangen und geht so der Wasserverunreinigung auf den Grund.
Silke Roder umreißt die Aufgabe des ISA im Projekt natürlich nüchterner als eine Detektivin, wie sie in einem Krimi auftreten würde: „Wir schauen nach, aus welchen Quellen die mikrobiellen Belastungen der Ruhr stammen“, sagt sie. Das mögen nicht unbedingt dubiose Quellen sein wie in der Kriminologie, aber diffuse Quellen sind es doch. Nicht klar einzugrenzen und nur unklar zu bestimmen sind diese Auslöser von Wasserverunreinigungen, denen Silke Roder für Sichere Ruhr nachspürt. Und auch nur mit einer gewissen Hartnäckigkeit lassen sie sich aufdecken. Häufig sind sie in der Landwirtschaft zu finden, zum Beispiel ist der Kot von Tieren eine solche Quelle, aus der Bakterien in die Ruhr gelangen, erklärt die junge Wissenschaftlerin.
Um eine aussagekräftige Bilanz über die diffusen Quellen zu erstellen, greift Bauassesorin Silke Roder auf Daten des Ruhrverbands und der Landwirtschaftskammer zurück, nutzt Bilder von Überfliegungen des Einzugsgebietes der Ruhr und arbeitet mit den Geographen vom IHPH in Bonn zusammen. Die Kollegen aus Bonn helfen ihr, die Puzzleteile zu einer Karte zusammenzusetzen, auf der man schnell sieht, wo möglich Gefahrenquellen für das Ruhrwasser liegen. Alle für die Bilanzierung der diffusen Quellen notwendigen Daten zusammenzutragen, sagt Silke Roder, „ist eine ganz schöne Herausforderung“.
Die Doktorandin und ihre Aachener Kolleginnen sind aber nicht nur den schwer auffindbaren Keimquellen auf der Spur, sondern auch den vergleichsweise offensichtlichen. Zum Beispiel den Kläranlagen. Diese haben sie als Haupteintragspfad für die verfolgten Bakterien ausgemacht – zumindest bei trockenem Wetter. Dabei haben Messungen in Essen und Schwerte geholfen, die Kollegin Kassandra Klaer ausgewertet hat. Die Entsorgungsingenieurin hat auch ein anderes interessantes Zwischenergebnis zu Tage gefördert: Den Zusammenhang zwischen Niederschlag und der Keimbelastung der Ruhr. Wenn es stark geregnet hat, ist letztere nämlich regelmäßig erhöht. Aber nach mehreren trockenen Tagen in Folge sind die Wasserwerte für eine bestimmte Zeit gut – und würden theoretisch das Baden im Fluss gestatten, zumindest aus hygienischer Sicht. Die Untersuchungsdaten für dieses Ergebnis lieferten Kassandra Klaer einerseits die anderen Projektpartner – durch die Wasserproben, die sie an den acht im Projekt untersuchten Stellen der Ruhr genommen und ausgewertet haben. Andererseits griff sie auf ältere Messungen und auf Niederschlagsdaten zurück, die sie damit verglich.
Dabei brauchte sie einiges wissenschaftliches Kombinationsvermögen, denn „man muss versuchen, Ungereimtheiten in den Datensätzen zu erklären“, wie Silke Roder ausführt. „Natürlich machen wir eigene Messungen, aber man ist immer auch zusätzlich auf Literaturdaten angewiesen“, erklärt sie. „Die Literaturrecherche ist ein großer Teil der Arbeit in unserem Projekt gewesen, um die Belastung des Wassers richtig einzustufen.“ Auch das Bild des Privatdetektivs, der ständig bei Nacht und Nebel undercover in Aktion tritt, ist ja meist mehr der Dramaturgie einer Fernsehserie geschuldet. Vermutlich sieht sich der echte Detektiv häufig vor einem Berg schlichter Büroarbeit, muss Unterlagen wälzen, Telefonate führen, recherchieren. Den Kolleginnen vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft geht es in dieser Beziehung ähnlich. Neben den Literaturrecherchen verbringt Silke Roder auch am Telefon und vor ihrem E-Mail-Postfach einen guten Teil ihrer Arbeitszeit für das Projekt Sichere Ruhr. Zum Beispiel stimmt sie mit dem Projektpartner Xylem die Versuche an den Kläranlagen ab. Dabei geht es nicht nur um das Auffinden von Bakterien. Auch wie man sie am wirkungsvollsten bekämpft, möchten die Aachenerinnen herausfinden.
Deshalb testen sie in verschiedenen Kläranlagen an der Ruhr nicht nur die bewährten Methoden der UV-Bestrahlung und Ozonung auf ihre Effektivität hin, sondern nehmen auch ein neues chemisches Verfahren unter die Lupe: An einer Versuchsanlage in Velbert erprobt Katharina Tondera die Wirksamkeit von Perameisensäure zur Verbesserung der Wasserqualität.
Die Arbeit des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft im Projekt ist damit eindeutig auch auf die Zukunft des Flusses ausgerichtet. Denn man möchte am Ende beurteilen: „Welche Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität würden wir ganz konkret für das Projektgebiet vorschlagen und was kosten diese, was würden sie bringen“, so Silke Roder. Einige Tendenzen kristallisieren sich dabei bereits heraus. „Der Ausbau der Kläranlagen gehört zu diesen Maßnahmen, die wir vorschlagen werden“, meint die Ingenieurin. Dabei seien die Anlagen zur UV-Bestrahlung des Wassers technisch einfacher, unanfälliger und kostengünstiger als Anlagen, die mit Ozon arbeiten. Für die Keimbekämpfung, um die es bei Ihren Untersuchungen im Projekt Sichere Ruhr geht, sehen die Aachenerinnen darin deshalb die geeignetere Methode. Aber Silke Roder denkt auch ein wenig darüber hinaus. „Man müsste, wenn man wirklich an die Umsetzung der Projektergebnisse geht, einmal kritisch fragen, ob es wirklich unser einziges Ziel sein sollte, Keime zu eliminieren“, meint sie. Eine Ozonbehandlung kann nämlich über Keime hinaus auch Spurenstoffe aus dem Wasser entfernen. So könnte man zum Beispiel Medikamentenrückstände bekämpfen – eine Wasserbelastung, die im Projekt nicht untersucht wurde.
Für den von Katharina Tondera untersuchten Fall des überlaufenden Mischwassers – dem Eintragspfad der bei Regenwetter den größten Anteil an der Belastung der Ruhr hat – schlagen die Wissenschaftlerrinnen der RWTH Aachen Maßnahmen vor, um schon das Überlaufen des Wassers in den Fluss möglichst zu vermeiden. Hier wären etwa eine Vergrößerung von Überlaufbecken oder eine Kanalnetzsteuerung ein gangbarer Weg, wie Silke Roder meint. Bei der Kanalnetzsteuerung wird versucht, den Stauraum in den vorhandenen Kanalnetzen besser auszunutzen, indem man etwa den Füllstand der Rohre anhebt. „Damit kann bei Niederschlag eine gewisse zusätzliche Menge des Wassers im Untergrund zurückbehalten werden, die dann nicht in die Gewässer abschlägt“, erklärt Silke Roder. Wenn der Regen vorbei ist, kann man dieses Wasser dann zur Behandlung in die Kläranlagen schicken.
Neben der Vermeidung des Wasserüberlaufs wäre es aber auch möglich, das Mischwasser zu behandeln – etwa mit einem Lammellenklärer, einer Art schräg stehendem Kamm, der das Wasser verlangsamt und ermöglicht dass sich Partikel absetzen. So wird auch das trübe Mischwasser etwas klarer. Eine Voraussetzung dafür, dass man es anschließend wirkungsvoll UV-behandeln kann, um die Keime darin zu beseitigen. Die Erfolgsaussichten dieser Methode müsse man aber noch weiter untersuchen, meint Silke Roder.
Dennoch sieht sie ganz konkrete Auswirkungen, die das Projekt Sichere Ruhr für die Region haben könnte, wenn die beschriebenen Maßnahmen ergriffen würden. „Durch eine Mischwasserbehandlung nach Regentagen könnte man erreichen, dass das Wasser an mehr Tagen Badewasserqualität hat“, meint sie. Auch an Trockenwettertagen ließe sich das Flussbaden mit Verfahren wie der UV-Bestrahlung sicherer machen – vor allem in Bezug auf Rotaviren, die zwar in der Badegewässerrichtlinie keine Rolle spielen, aber nach den Untersuchungen von Sichere Ruhr dennoch ein Erkrankungsrisiko in der Ruhr darstellen.
Auf die Frage, ob sie selbst in den Fluss springen würde, lacht Silke Roder und überlegt dann. „Mal die Füße reinhalten“, sagt sie. „Aber ich würde nicht tauchen.“ Eine Wissenschaftlerin verhält sich da vielleicht wie eine Detektivin: Sie stürzt sich nicht gleich selbst ins Geschehen, sondern bleibt vorsichtshalber eine Weile am Rande, um die Lage von neutraler Position aus einzuschätzen.