
Dass es im Ruhrgebiet heute ein Forschungsprojekt zum öffentlichen Baden im Fluss gibt, ist auch eine Folge des Strukturwandels in der Industrieregion. Mit dem Niedergang des Tagebaus und der Abnahme der Schwerindustrie an der Ruhr, sind die Möglichkeiten gestiegen, vor Ort die Natur zu genießen. Das gilt auch für die Gewässer. Allerdings nicht für alle gleichermaßen. Denn sie haben traditionell unterschiedliche Aufgaben.
Dazu gehört die Versorgung der Industrie mit Kühlwasser, mit Wasser, um Turbinen anzutreiben und mit Wasser als Rohstoff für die Produktion. Eine Aufgabe, die die Ruhr auch heute noch wahrnimmt. Doch nicht nur um den Durst der Industrie zu löschen, werden große Wassermengen aus dem Fluss entnommen. Auch Trinkwasser wird benötigt und das nicht zu knapp, denn schließlich ist die Region dicht besiedelt. Die Aufgabe der Trinkwasserversorgung kommt dabei traditionell ebenfalls der Ruhr zu. Dass das Wasser aus dem Fluss Millionen Menschen jederzeit aufbereitet im Haushalt zur Verfügung steht, wird mit Hilfe von Technik sichergestellt. Zahlreiche Wasserwerke an der Ruhr besorgen die Aufbereitung des Wassers, hinzu kommt eine Reihe von Flussausbauten, die zur Wasserversorgung beitragen: Talsperren an den Zuflüssen machen möglich, dass auch in trockenen Perioden genügend Wasser vorhanden ist und Stauseen reinigen das Wasser vorab.
Aber die Menschen im Ruhrgebiet trinken das Wasser nicht nur, sie duschen, spülen und waschen auch damit – sehr viel Abwasser gibt es danach zu entsorgen und in den Kläranlagen wieder zu reinigen. Den Transport des Abwassers aus den Haushalten, aber auch aus der Industrie übernimmt zu einem großen Teil die Emscher. Auch das Grubenwasser, das in die alten Bergwerksstollen noch heute eintritt, wird ihr traditionell zugeleitet. Als offener Abwasserkanal trug die Emscher zeitweise den Beinamen „Kloake des Ruhrgebiets“ und wurde zu einem ökologisch toten Fluss. Aufgrund des Bergbaus und der Senkungen des Bodens, die dieser zufolge hatte, schien es lange Zeit unmöglich, das Abwasser im Ruhrgebiet unterirdisch abzuführen. Dass die Ruhr im Gegensatz zur Emscher auch zu Hochzeiten der Industrieproduktion noch Wasser führte, das man zum Trinken aufbereiten konnte, lag auch daran, dass die Emscher buchstäblich die Drecksaufgabe übernehmen musste. Um dort die Folgen der offenen Abwasserentsorgung im Fluss einzudämmen, insbesondere Überschwemmungen der angrenzenden Städte mit Schmutzwasser und mögliche dadurch ausgelöste Seuchen, wurde der natürliche Flusslauf der Emscher im großen Stil verändert, inklusive der Eindeichung erheblicher Teile des Flusses und der Verlegung seiner Mündung.
Als dritter Fluss mit wichtiger Aufgabe für das Ruhrgebiet steht neben Ruhr und Emscher seit den Zeiten des industriellen Booms die Lippe. Ihr Wasser war zum Trinken zu salzhaltig, jedoch dient es bis heute dazu, das westdeutsche Kanalnetz zu speisen. Durch Zuführen von Wasser aus der Lippe – oder durch Zurückpumpen in diese – kann der Wasserstand der Kanäle so reguliert werden, dass dort die Binnenschiffe ungehindert fahren können. Auch zur Kühlung von Kraftwerken wird Lippewasser eingesetzt.
Inzwischen hat sich die klassische Aufgabenteilung der Flüsse im Ruhrgebiet jedoch gewandelt – einhergehend mit dem Wandel der wirtschaftlichen Struktur der Region. Die Nutzung der Flüsse gleicht sich einander wieder an. Schon in der Vergangenheit gab es dabei Überschneidungen, wenn man genau hinsieht. So wurde nicht nur in die Emscher, sondern auch in die Lippe Grubenwasser geleitet und auch über die Ruhr urteilte die „Zeitschrift für Fischerei und deren Hilfswissenschaften“ im Jahre 1912, ihr Wasser sei eine „eine braunschwarze Brühe“ und „absolut tot“. Glücklicherweise verläuft die Angleichung der Flüsse aneinander heute in umgekehrter Richtung – hin zu saubererem Wasser. Auf das Zechenschließen folgte der Wunsch, an den Gewässern einen naturnahen Lebensraum wiederherzustellen. Die „Kloake“ Emscher wird heute im großen Stil ökologisch umgebaut, neue unterirdische Abwasserkanäle und ein zentrales Klärsystem für das Ruhrgebiet sollen helfen, ihr wieder ein natürlicheres Antlitz zu geben, auch wenn der Fluss dabei eingedeicht bleiben wird. Auch die Lippe hat sogenannte naturnahe Uferbereiche zurückbekommen.
Mit der gewünschten Rückkehr der Flüsse zur Natur rückt auch die Erholung an den Gewässern im Ruhrgebiet wieder stärker in den Vordergrund. Das zeigt der Emscher-Radweg entlang des Flussufers ebenso wie die Tatsache, dass an der Ruhr intensiv über das Flussbaden diskutiert wird. Für die Menschen in der Region ist dieser neue Erholungswert eine positive Entwicklung. Ein grundsätzlicher Nutzungskonflikt um die Flüsse bleibt dabei jedoch bestehen. Das zeigt das Beispiel des umstrittenen Vorhabens Lippesee in Hamm. Seine Gegner werfen ihm vor, dass es zugunsten eines Großprojektes für die städtische Erholung die natürlichen Lippeauen zerstören würde. Naturnahe Erholung und natürlicher Lebensraum müssen nicht das Gleiche sein. Die Frage bleibt also bestehen: Inwieweit sollen wir den Flüssen Zwecke zuteilen und sie nach unseren Vorstellungen umgestalten – und inwieweit ihnen ihren Raum lassen?